Heute ist für 2010 der offiziell letzte Schultag an meinem Gymnasium. Jedoch wird am heutigen Tag prinzipiell nichts mehr gemacht, nur noch das „kerstontbijt“ steht auf dem Programm. Das heißt, jede Klasse frühstückt gemeinsam mit ihrem Mentor in den Klassenzimmern. Diese Mahlzeit fällt jedoch relativ süß aus, dem Geschmack der Jugendlichen angemessen mit Apfelkuchen, Keksen und anderen Leckereien.
Heute Abend wird dagegen noch einmal größer aufgetischt: Es steht eine sogenannte „kerstgala“ an, bei der zunächst der Lehrkörper gemeinsam diniert. Danach besteht die Möglichkeit, sich den feiernden Schülern anzuschließen, die in einem anderen Bereich des Gebäudekomplexes den Jahresabschluss begehen. Prinzipiell natürlich eine nette Geschichte, allerdings gibt es Lehrer, die diesem „Zirkus“ relativ skeptisch sehen. Für viele Schüler ist die „kerstgala“ ein absoluter Fixpunkt des Jahres und dementsprechend wird sich auch elegant gekleidet. Zu amerikanisch, zu elegant und zu teuer, sagen jedoch einige Kollegen. Mir wurden Geschichten erzählt von Schülern, die im hohen dreistelligen Bereich für ihre Garderobe bezahlten. Da stellt sich natürlich die Frage, ob solche „Events“ für die Integration von Kindern einkommensschwacher Familien eine angenehme Sache darstellen.
Für die Lehrerschaft selbst gab es diese Woche übrigens auch noch Geschenke, genauer gesagt ein Tütchen mit einer Flasche Rotwein sowie einem Geschenkbon. Solch eine Aufmerksamkeit zum Jahresende kannte ich von anderen Schulen nicht, es scheint aber in den Niederlanden durchaus Usus zu sein, versicherten mir die Kollegen. „Früher“ wurde das vom Direktor sogar persönlich mit einem feuchten Händedruck übergeben, heute gibt es dafür abzuhakende Listen im Lehrerzimmer. Einige Kollegen finden auch das schade, aber eventuell kann man das bei einem Gläschen Wein schnell vergessen.
Monat: Dezember 2010
Durchs Fenster
Eine nette Eigenschaft der Niederländer besteht darin, dass sie der Gardine durchaus skeptisch gegenüberstehen. Ob das nun am Calvinismus liegt oder fiskalische Gründe hat, kann wohl niemand mehr so genau sagen. In jedem Fall kann man auch in unserer Schule in viele Klassenräume hineinschielen, vom Gang aus versteht sich. Der obere Teil der Wand ist durch eine Fensterformation besetzt, so dass man zumeist sehr gut sieht, was denn im vorderen Bereich des Klassenraums geschieht.
Interessant ist beispielsweise der Spezialraum für Geschichte, in dem ich bei jedem zweiten Durchlauf ein Video laufen sehe. Wie kann ich das einordnen? Ist das ein Zugeständnis an die Extremsorte von Schülern, die selbst in der Schule unentwegt Twitter füttern müssen? Oder ist es komfortabler für den Lehrer, der einen guten Teil der Stunde aus dem Brennpunkt verschwinden darf? Es hört sich schön an, ein Video bei youtube ziehen und dann die Klasse damit konfrontieren. Aber ich habe es oft erlebt, dass solche medialen Alleingänge ohne Begleitung nicht mehr als ein „Aha, interessant“ aus den Schülern herauslocken. Meistens muss man sich doch die Mühe und beispielsweise ein Arbeitsblatt erstellen, welches zur Analyse anleitet – sei es bei einem Film oder bei einer Dokumentation. Schüler müssen sich mit dem eigentlichen Inhalt aktiv auseinandersetzen – ansonsten versickert der gesehene Inhalt schnell wieder im medialen Sumpf.
Richtig gute Klassen (hinter)fragen natürlich selbst, ohne Anleitung. Letzte Woche gesehen bei „Der Baader-Meinhof-Komplex“, ein komplexes Thema, das aber durch die Schüler höchst verständig besprochen wurde. Der Film wurde mehrmals unterbrochen, aber das war komischerweise nicht unangenehm. Im Gegenteil, manchmal wünschte ich mir, dass wir mehr Zeit zur Diskussion aufopfern würden. Aber das ist bereits ein gutes Zeichen, das Gefühl eine fruchtbare Diskussion zu führen, kann als Argument für den gerichteten und genügend vorbereiteten Medien-Einsatz gelten.
Mit mehr Singles besser dran?
Die Schule, an der ich jetzt tätig bin, hat eine ziemlich gute Reputation, beispielsweise bei den Abiturprüfungen erreichen die Schüler landesweit gesehen überdurchschnittliche Resultate. Das spricht sich allgemein herum und meine Schule hat somit keine Probleme, neue Schüler zu gewinnen (in den Niederlanden haben die Eltern viel Freiheit bei der Auswahl der Schule für ihre Zöglinge).
Die Qualität einer Schule lässt sich natürlich anhand unzähliger Faktoren bestimmen, aber sicherlich spielt das Lehrpersonal eine zentrale Rolle. Wir haben hier ein sehr bunt gemischtes Kollegium, von alteingesessenen „Paukern“ über Quereinsteiger und Teilzeitlehrern bis hin zu Studenten im fortgeschrittenen Semester. Was jedoch sehr häufig bei den Lehrern anzutreffen ist, dass sie Singles sind bzw. Beziehungen ohne Kinder führen. Dies klingt vielleicht erst mal beunruhigend, schließlich erwartet man doch irgendwie von einem Pädagogen, dass er ein „geregeltes Familienleben“ hat. Jedoch glaube ich, dass dies eventuell ein Element des Erfolgs der Schule darstellt.
In Italien war beispielsweise der Schulalltag vieler Lehrer prinzipiell auf Kind & Kegel ausgerichtet. Spätestens um 13 Uhr wurde die Heimreise angetreten und die Familie stand von nun an im Vordergrund. Schulische Aktivitäten am Nachmittag & Abend waren somit ausgeschlossen. An meiner jetzigen Schule sind viele Lehrer dahingehend unabhängiger und können mehr Energie in schulische Belange jeglicher Art investieren, sei es die Optimierung des Unterrichts, Weiterbildung oder die allgemeine Ausgestaltung des Schullebens. So waren diesen Mittwoch Nachmittag Theaterdarsteller hier und haben mit den Schülern über ein Stück diskutiert. An meiner Schule in Italien wäre dies terminlich schlichtweg nicht tragbar gewesen, vom Organisationsaufwand eines solchen Treffens nicht zu sprechen.
Ein immer wieder genannter Vorteil der Lehrerberufs ist die recht gute Vereinbarung mit familiären Belangen. Natürlich machen auch viele Lehrer mit Familie einen fantastischen Job, das will ich nicht absprechen. Vielleicht identifizieren sich aber Single-Lehrer tendenziell stärker mit dem Schulleben, was natürlich nicht nur positive Konsequenzen haben muss (Stichwort „Burn-Out“).